Spezialisten tauschen in 60 Metern Höhe Bauteile aus
Bad Vilbel/Karben. Christoph Winter legt den Kopf in den Nacken, sodass sein weißer Bauarbeiter-Helm ein Stück verrutscht. Er schaut hinauf zu den Stromleitungen, die gut 60 Meter über seinem Kopf bis zum Horizont verlaufen. Ein dumpfes Rattern ist zuhören, als wäre ein Hubschrauber im Landeanflug. Tatsächlich stammt das Geräusch aber von den kleinen Benzinmotoren, die gerade drei Leiterwagen mit je einem Monteur die Stromtrassen entlangziehen.
»Jetzt müssen sie nur noch runterklettern«, verkündet Winter, als die vom Boden aus winzigen Punkte den stählernen Strommast im Feld zwischen Rendel und Büdesheim erreicht haben. Der 41-jährige Winter verantwortet die Instandhaltungsarbeiten, die der Netzbetreiber Tennet seit Monatsbeginn am Hochspannungsnetz zwischen dem Karbener Umspannwerk an der B 521 und dem in Frankfurt-Griesheim vornimmt.
»Hier ist für die Stromversorgung Frankfurts und des Umlands ein wichtiger Knotenpunkt«, erklärt der Projektleiter. Umso zentraler für Tennet ist deshalb, dass die Stromtrassen gut in Schuss sind – und es auch bleiben. Dafür sind Winter und seine Kollegen angereist. Ein paar aus Bayreuth, wo die Firma ihren Hauptsitz hat, andere aus der Außendienststelle in Schweinfurth und die Spezialisten, die sich nun in luftiger Höhe an den Abstieg machen, sogar aus Wien.
Ihre Aufgabe ist es, auf knapp 30 Kilometern Strecke etwa alle 50 Meter ein vergleichsweise kleines Bauteil der 380 000-Volt-Stromleitungen auszutauschen: den sogenannten Feldabstandshalter. Das ist ein würfelförmiges, etwa 40 mal 40 Zentimeter großes Aluminiumgerippe mit Stahlkern. Es wird auf die Leitungen gesetzt und verhindert, dass diese im Wind hin- und herschwingen und Schaden nehmen – etwa, weil sie aneinanderschlagen. Sie sind also eine Art Puffer, der auch dafür sorgt, dass man den Stromtransport nicht Hunderte Meter weit hören kann: Würden die Leitungen sich zu nahe kommen, entstünden lärmende elektrische Entladungen.
JOB MIT RISIKOFAKTOR
»Die Leitungen sind unser höchstes Gut«, erklärt Winter. Deshalb sei der Aufwand für die Wartung hoch – auch wenn sich Schäden, etwa durch umherfliegende Planen, Blitzschlag oder, noch seltener, Sportflugzeuge nicht gänzlich vermeiden ließen. Der Austausch der Feldabstandshalter sei für Tennet ein Routinejob, wenn er auch an den Karbener Masten erstmals nötig ist.
Wind und Wetter machen den Stromtrassen zwar allgemein nichts aus. Nach mehr als 40 Jahren war die Haltbarkeitsdauer der bisherigen Abstandshalter aber doch aufgebraucht. Es gibt heute neue Modelle mit vier statt zwei stabilisierenden Stegen und zusätzliche dämpfenden Elementen.
Zwölf Freileitungsmonteure sind dieser Tage also zwischen Karben und Frankfurt im Einsatz. Immer in Vier-Mann-Teams, widmen sie sich einzelnen Abschnitten des Stromnetzes, erklärt Chefmonteur Siegfried Grobbauer. Der 60-Jährige weiß, worauf es dabei ankommt. Schließlich ist er selbst jahrelang auf Stromleitungen umhergeklettert. Heute überlässt er das den jüngeren Kollegen.
Früh am Morgen ist für sie der Strom auf dem Netz-Teilstück ausgeschaltet worden. Erst am Abend geht er wieder an. »Weht zu viel Wind oder fließt zu viel Energie durch die Leitungen, die bei einer Abschaltung verloren ginge, können wir nicht hoch«, erklärt Grobbauer. Sonst steigen sie bei Wind und Wetter die Masten hinauf. Nur wenn es blitzt und donnert oder Eis auf den Trassen glitzert, bleiben sie sicherheitshalber am Boden.
Mit Kletterausrüstung, Helm und Sicherungsseilen krabbeln die Monteure die Strommasten hinauf, dann ziehen sie den Seilwagen über eine Winde hinterher und setzen ihn auf die Leitung. Parallel fahren immer drei Arbeiter auf den Kabeln entlang und schrauben mit handelsüblichem Werkzeug alte Feldabstandhalter ab und neue fest. Unten folgt ein Kollege den Wagen zur Absicherung, Kontakt halten sie per Funkgerät.
»Höhenangst darf bei uns natürlich niemand haben«, sagt Grobbauer mit einem Grinsen. Mehr noch: »Seine Jungs« haben allesamt einen Höhentauglichkeitstest hinter sich. Außerdem legen sie alle zwei Jahre einen Gesundheitscheck ab und üben regelmäßig die Bergung von Kollegen, für den Fall, dass sich einer während der Arbeit in luftiger Höhe verletzt. Dass ein Unglück passiert, sei aber äußerst selten, sagt der Monteurs-Chef. »Unsere Sicherheitsvorkehrungen sind hoch.« Im Ausland sei das anders, deshalb gebe es dort häufiger Todesfälle.
AUS LIEBE ZUM KLETTERN
»Wenn du oben bist, denkst du aber nicht an die Höhe. Denn alles, an dem du arbeiten musst, ist nicht weiter entfernt als deine Hände«, sagt Grobbauer. Ein Ausbildungsberuf ist Freileitungsmonteur im Übrigen nicht: Die meisten sind gelernte Schlosser, Elektriker oder Mechaniker, meist waren sie schon vorher Hobby-Kletterer, kennen sich untereinander deshalb oft gut – ein Vorteil bei der trotz allem zehrenden und risikoreichen Arbeit. Gut 800 Freileitungsmonteure gibt es in Deutschland, nicht mal ein Viertel davon in Österreich. Allein bei seiner Firma European Trans Energy sind es laut Grobbauer 100.
Durch ein Fernglas beobachten Winter und Grobbauer nun, wie die Männer aus den Seilwagen krabbeln, auf den Leitungen balancieren und sich über eine Leiter auf den Strommast des Typs »Donau-Einebe« hangeln. Das dauert mehr als 20 Minuten, Ruhe und Konzentration sind beim Klettern alles. Dabei drängt die Zeit. Fünf Felder, so nennt er die Strecke zwischen zwei Masten, hofft Winter heute noch abhaken zu können. »Wenn nichts dazwischenkommt«, sagt er und blickt zufrieden hinauf zum wolkenlosen Himmel. Jetzt gibt’s aber erst mal Mittag.
Von Alexander Gottschalk