Bad Vilbel. 773 Kilometer war der ehrenamtliche Bürgermeister Klaus Kühnemann (Freie Wähler „Frischer Wind für Lubmin“) vom Ostseebad Lubmin zur SPD nach Bad Vilbel angereist. Rund 40 Besucher informierte er im Kurhaus, welche Auswirkungen der geplante Bau eines Steinkohle-Großkraftwerkes auf seine Gemeinde hätte. Die Stadtwerke Bad Vilbel wollen sich mit 28 Millionen Euro an dem Zwei-Milliarden-Projekt des dänischen Dong Energy Konzerns beteiligen (wir berichteten). Insgesamt sollen in zwei Kraftwerkblöcken 1600 Megawatt produziert werden. 4,6 Millionen Tonnen Kohle werden dafür jährlich verfeuert. Berechnungen über den daraus resultierenden CO2-Ausstoß bewegen sich laut Kühnemann zwischen 5,6 und zehn Millionen Tonnen – bei 13 Millionen Tonnen, die im ganzen Land Mecklenburg-Vorpommern derzeit produziert werden.
Doch das sei längst nicht das einzige Problem. Quecksilber, Blei, Arsen und Kadmium würden über die Luft und das Kühlwasser freigesetzt. „Der seit 122 Jahren bestehende Seebad-Status von Lubmin wäre in akuter Gefahr“, so der Bürgermeister. Dabei sei seine Gemeinde eine der wenigen in Mecklenburg-Vorpommern mit einer positiven Entwicklung der Einwohnerzahlen. Außerdem solle durch den Bau eines Kurhotels der Tourismus ausgebaut werden. Ob das Hotel sich dort ansiedelt, hänge aber davon ab, wie im Hinblick auf das Kohlekraftwerk entschieden werde.
Denn das Kühlwasser würde das ökologisch wertvolle, sensible Gewässer im Greifswalder Bodden um fünf Grad erwärmen. Nicht nur eine Algenblüte und der Verlust der Wasserqualität mit den Auswirkungen auf den Tourismus wären zu erwarten, sondern auch die Seegraswiesen, in denen der Hering laiche, verschwänden. „Das wäre ökologischer und ökonomischer Wahnsinn“, so Kühnemann.
Die Ursache dafür, dass der von Naturschutzgebieten umgebene und einst von Küstenwäldern bedeckte Industriestandort ins Gespräch kam, sei ein Hafenbecken, das mit erheblichen Zuschüssen der EU für 50 Millionen Euro dort gebaut worden sei. Sollte es keinen ausreichenden Verwendungsnachweis geben, drohe die Gefahr, dass 20 Millionen Euro an Brüssel zurückbezahlt werden müssen. Deshalb habe das Land Mecklenburg-Vorpommern für Dong, das zur Hälfte dänischer Staatskonzern ist, „den roten Teppich ausgerollt“, so Kühnemann.
Der Energieproduzent nutze die Chance, mit einer Anlage ohne Kraft-Wärme-Kopplung, wie sie in Dänemark nicht mehr genehmigt würde, Profit zu machen. „Und zwar mit einer Technik aus dem 19. Jahrhundert“, wie der Wasserwirtschaftsingenieur betonte.
Das Lubminer Hafenbecken, über das Kohle aus Australien, Südafrika und Südamerika eingeschifft werde, sei vor dem Bau als Kühlwasserauslauf für ein Atomzwischenlager deklariert worden, das dort neben dem in den Sechzigern gebauten und 1996 stillgelegten, größten Kernkraftwerk der DDR errichtet worden ist. Vergangenen Samstag sei dort der erste Atommülltransport gelandet.
Zum Bau des Beckens sei ein Zweckverband aus Lubmin mit seinen kleineren Nachbarkommunen Rubenow und Kröslin gegründet worden, denen die EU-Rückzahlung drohe – ein Grund neben dem erwarteten Wirtschaftsaufschwung, warum die Nachbarn anders als Lubmin den Bau des Kraftwerkes befürworten. Doch Gewerbesteuer flösse frühestens in zehn bis 15 Jahren. Und das Argument von 140 Arbeitsplätzen für eine Anlage auf 20 Hektar sei schwach. Die Gemeindevertretung von Lubmin habe deshalb vor einem Jahr beschlossen, aus dem Zweckverband auszutreten, um die Planungshoheit auf ihrem Gebiet zurückzuerlangen
„Der Standort wäre prädestiniert für erneuerbare Energien“, so der Bürgermeister. Tatsächlich entstehe vor Rügen ein Offshore-Windpark. Daran streben die Stadtwerke Bad Vilbel ebenfalls eine 20-Megawatt-Beteiligung an, suchen allerdings noch Partner, die die Kosten von 60 bis 80 Millionen Euro mittragen. In der Umgebung seien ausreichend Flächen für den Maisanbau zur Erzeugung von Bioenergie verfügbar. Zudem entstehe im selben Industriegebiet die Gas-Anlandestation von Eon und Gazprom. Das veraltete Kohlekraftwerk sei zur sicheren Energieversorgung demnach nicht notwendig. Die in Aussicht gestellte technische Abspaltung von CO2 und dessen Einlagerung sei keineswegs geklärt. „Wer davon redet, weiß nicht, wovon er redet“, so Kühnemann. Sauber, innovativ und zukunftsweisend seien vielmehr Investitionen in die Kohlevergasung und Verstromung.
„Sollten Sie sich an dem Kohlekraftwerk beteiligen, beteiligen Sie sich an unserer Schädigung“, mahnte Kühnemann. Zehn Kommunalparlamente hätten dagegen Stellung bezogen, 9000 Einwendungen eine zweite Offenlage des Bebauungsplans erforderlich gemacht. 32 000 Unterschriften einer Volksinitiative zwingen den Landtag, am 23. Oktober das Thema auf die Tagesordnung zu setzen „auch wenn es wahrscheinlich nur durchgewinkt wird“, wie der Bürgermeister schätzt. Aber immerhin könne der kleine David den großen Goliath pieksen und in der Summe der Nadelstiche etwas erreichen. Sollte bis 2012 aus dem Kohlekraftwerk kein Strom ins Netz eingespeist werden, müssten für etwa 300 Millionen Euro CO2-Zertifikate eingekauft werden – eine Summe also, die auch die Bad Vilbeler Verbraucher später mitzahlen müssten.