Nidderau. „Über die Stolpersteine stolpert man mit dem Kopf und mit dem Herzen, und wenn man die Inschrift lesen will, muss man eine Verbeugung machen.“ Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat im Beisein von gut 30 Bürgern in Heldenbergen die ersten Stolpersteine auf Nidderauer Stadtgebiet verlegt. Demnig will damit an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Vor dem jeweils letzten selbst gewählten Wohnort der im Nationalsozialismus vertriebenen oder deportierten Juden lässt er zehn mal zehn Zentimeter große Betonquader mit Messing-Oberfläche und Inschrift in den Bürgersteig ein.
Die Beschäftigung mit den Schicksalen einzelner Menschen sei „handfester Geschichtsunterricht“, zumal die Zahl von sechs Millionen Opfern des Holocaust eine abstrakte Größe sei, so Demnig. Er freue sich, dass wieder ein Ort hinzugekommen ist, so sei Nidderau die 351. Kommune in Deutschland mit Stolpersteinen. Demnig dankte der Stadt für die Vorarbeit.
Die Steine werden durch Paten finanziert; eine Patenschaft kostet 95 Euro. In Nidderau gebe es über 50 Zusagen für Patenschaften, erklärte Bürgermeister Gerhard Schultheiß (SPD) und fügte hinzu, er sei erfreut über das Bewusstsein und die Offenheit, die in der Stadt vorherrschten.
Vor dem Haus Raiffeisenstraße 9 wurden neun Steine für Mitglieder der Familie Rothschild in den Bürgersteig eingelassen. Hugo, Nanny, Heinz, Theodor, Rieda, Helmut, Ludwig und Alfred Rothschild wurden Opfer des Holocaust. Die Familie wurde im September 1942 aus ihrem Haus deportiert. Zu diesem Zeitpunkt war Nesthäkchen Alfred fünf Jahre alt. Die Rothschilds wurden in den Gaskammern der Konzentrationslager ermordet.
Die Initiative „Stolpersteine in Nidderau“ hatte vorab die Hintergründe zu den Schicksalen der Menschen recherchiert. Nach der Verlegung der Steine durch Demnig sprach Rabbiner Andrew Steimann aus Frankfurt. „Für die Menschen holen wir jetzt wenigstens eine Trauerfeier nach, die es bisher nicht gegeben hat. Wenn auch spät, so holt man sie jetzt an den Ort zurück, an den sie eigentlich gehören“. Während er für die Seelen der Toten betete, fassten sich die Anwesenden an den Händen.
Theodora Nieder aus Nidderau hat mit ihrer Familie die Patenschaften für Familie Rothschild übernommen. Als sie sich mit der Geschichte der Nidderauer Juden beschäftigt hat, sei sie durch ein Foto auf die Familie aufmerksam geworden. „Ausschlaggebend für diese Patenschaft war, dass die Familie an dem Tag deportiert wurde, als ich geboren wurde“, sagte Theodora Nieder.
In der Burggasse 7 wurden sechs Steine für Großmutter Jettchen, Josef, Jenny, Herbert und Manfred Rothschild sowie für Moritz Weiss in den Bürgersteig eingelassen. (kre)