Bad Vilbel. An der Ernst-Reuter-Schule (ERS) startet am 20. Oktober das erste Schulvorbereitungsjahr. Träger ist der Kinder- und Jugendhilfeverein „Möwe Jonathan“. Das Pilotprojekt, das von der Kasseler Universität wissenschaftlich betreut wird, basiert auf einem pädagogischen Konzept von ERS-Lehrerin Dagmar Schmidl. Sie hat neben dem ersten Staatsexamen für das Grundschullehramt ein Studium der Sozialpädagogik absolviert und ist diplomierte Legasthenie- und Dyskalkulielehrerin.
Als „ausgesprochenen Glücksfall“ sieht die Leiterin der Grund-, Haupt- und Realschule, Angelika Ringler, diese vielgestaltige Ausbildung. Schmidl wird die pädagogische Leitung des Schulvorbereitungsjahres übernehmen und von einer Erzieherin unterstützt.
„Eine funktionierende Wahrnehmung ist die Grundvoraussetzung zum Erlernen des Lesens, Schreibens und Rechnens“, betont Schmidl. Sie will Störungen durch eine gezielte Förderung mit ganzheitlichem Lernansatz beheben. Ringler unterstreicht besonders den sozialen Aspekt. Oft müssten Kinder lernen, sich zurück zu nehmen, andere, sich durchzusetzen. Im Schulvorbereitungsjahr lernten sie zusammen in einer Gruppe von Gleichaltrigen, sich selbst einzuschätzen, einzuordnen und abzugrenzen. Dies geschehe maßgeblich auf sozialer und nicht wie in der Schule auf Leistungsebene. Das Verantwortungsgefühl, die Neugier und Kreativität der Kinder sollen gestärkt werden. Sie sollen lernen, andere zu respektieren und zugleich ein Gefühl für den eigenen Wert entwickeln sowie sensibel für die Umgebung und Lebensverhältnisse werden. Indem das Schulvorbereitungsjahr in der ERS stattfinde, ergebe sich aus der räumlichen auch eine inhaltliche Annäherung an den Übergang zur Grundschule, der enger sei als bei allen bisherigen Kooperationsformen zwischen Kita und Schule. Auf die Idee zum Schulvorbereitungsjahr brachten den Initiator Peter Gellings die durch das Auslaufen der Sekundarstufe frei werdenden Schulräume. Als Vorsitzender überzeugte er den CDU-Ortstadverband und das Stadtparlament. Es stellte 40 000 Euro für das Modell zur Verfügung.
Als der Verein wegen einer Trägerschaft gefragt wurde, war er laut Karl Klefenz und Jürgen Breunig von der „Möwe Jonathan“ sofort der Ansicht, das Konzept passe „gut in die aktuelle Diskussion über den Hessischen Bildungsplan Null bis Zehn“. In der ERS sei die Lehrerschaft ebenfalls gleich bereit gewesen, das Experiment einzugehen, berichtet Personalratsvorsitzende Marion Stork. Ein Ausschlag gebender Aspekt sei die Beobachtung gewesen, dass die Schere zwischen sehr weit fortgeschrittenen Kindern und jenen mit Defiziten immer weiter auseinander klaffe. Schulleiterin Ringler: „Wer in die erste Klasse kommt, sollte Schuhe schnüren, ein Bild ausmalen und mit der Schere eine gerade Linie schneiden können.“
Auch das lernen die Kinder nun in den „Arbeitsphasen“, von denen es jeden Vormittag zwei geben soll. Alle Kinder nach Defiziten oder besonderen Neigungen ohne Verschulung und Kontrolle zu fördern und zu fordern, damit sie bei der Einschulung die Grundanforderungen erfüllen, sei das Ziel. Zu berücksichtigen sei auch, dass Kinder die deutsche Sprache beherrschen.
Bisher ist vorgesehen, dass 20 bis 25 Kinder im Schulvorbereitungsjahr die ERS von acht bis 15 Uhr besuchen, doch will Klefenz sich an den Elternwünschen orientieren. Eine Ausdehnung der Öffnungszeiten würde eine weitere Erzieherin erfordern. Die Elternbeiträge sollen jedoch jenen der anderen Kitas entsprechen.
Am Montag, 1. September, 19.30 Uhr findet in der ERS ein Informationsabend zum Schulvorbereitungsjahr statt.