Eine sehr informative, gut lesbare und mit alten Fotos sowie aussagekräftigen Dokumenten versehene Recherche über den Lebensweg des „Vilbeler Bürgers und Mineralbrunnenbesitzers“ Siegfried Wechsler (1892 – 1942) hat Stefan Kunz als Band 55 der vom örtlichen Geschichtsverein herausgegebenen „Bad Vilbeler Heimatblätter“ veröffentlicht.
Bad Vilbel. Stefan Kunz ist Getränke-Ingenieur und als Technischer Produktmanager bei Hassia Mineralquellen beschäftigt. Ausschlag für seine Berufswahl könnte sein bereits als Jugendlicher aufkeimendes Interesse für die Geschichte seiner Heimatstadt gewesen sein, die bekanntlich sehr von der Brunnenindustrie geprägt ist. Stefan Kunz ist so auch seit langem Mitglied im örtlichen Geschichtsverein und hat einiges zu den Themen Mineralbrunnen, Bierbrauergewerbe und Gaststätten veröffentlicht.
„Siegfried Wechsler – Ein Vilbeler Bürger und Mineralbrunnenbesitzer“ lautet der jüngste Titel seiner Forschungen, der nun als aktueller Band der „Bad Vilbeler Heimatblätter“ erschienen ist. Die Geschichte der Siegfried-Quelle und ihres Gründers ist eine besonders tragische. Siegfried Wechsler war Jude und kam als Opfer der mörderischen nationalsozialistischen Rassenpolitik ums Leben.
Stefan Kunz’ intensivere Beschäftigung mit der Firmen- und Familiengeschichte Wechsler begann im Oktober 2013 im Zuge der Vorbereitungen für die Ausstellung „Legalisierter Raub – Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen“. Dieses vom Hessischen Rundfunk und dem Fritz-Bauer-Institut konzipierte Projekt wurde mit dem lokalen Schwerpunkt Bad Vilbel im Herbst 2014 für mehrere Wochen im Bad Vilbeler Kurhaus gezeigt. Stefan Kunz konnte einige Exponate selbst beisteuern bzw. für die Ausstellung vermitteln.
Für seine Recherche sichtete Kunz Akten und Dokumente des Bad Vilbeler Stadtarchivs sowie die Bestände in den hessischen Staatsarchiven Wiesbaden und Darmstadt. Er wertete außerdem Akten der Devisenstelle und der Gerichtsverfahren zur „Wiedergutmachung“ aus und ging Hinweisen nach, die aus dem Umkreis der Familie Wechsler kamen. Besonders habe er sich über ein erstes Portraitfoto von Siegfried Wechsler gefreut, das er in Florstadt ausfindig machen konnte.
Der 1892 geborene Siegfried Wechsler nahm als deutscher Soldat am 1. Weltkrieg teil. Nach Kriegsende und der Rückkehr nach Vilbel arbeitete der gelernte Kaufmann im Betrieb seines Vaters, der als „Gebr. Wechsler – Bäckerei, Mehl und Landesprodukte“ in der Frankfurter Straße 20 und 55 firmierte.
Germanisches Symbol
1928 meldete Siegfried als zusätzliches Gewerbe einen Mineralbrunnenbetrieb an und bohrte auf seinem Grundstück einen Brunnen. Er lässt den Namen Siegfried-Quelle beim Patentamt schützen und fügt dem Namen eine Bildmarke hinzu, die den Nibelungenhelden Siegfried im Kampf mit einem Drachen zeigt. Diese Bildmarke musste später geändert werden, da ein Jude nicht mit einem germanischen Symbol werben durfte. Ob Konkurrenten der Wasserbranche, die Industrie- und Handelskammer in Friedberg oder der Vilbeler NS-Bürgermeister hierzu die Initiative ergriffen haben, konnte Stefan Kunz nicht klären.
Detailliert beschreibt er jedoch die Plünderungen und Zerstörungen während der so genannten Reichskristallnacht am 10. November 1938. Siegfried Wechsler und andere jüdische Männer unter 60 Jahren waren ins Rathaus zitiert und in Haft genommen worden. Danach zog ein mit Äxten und Knüppeln bewaffneter Mob durch die Straßen, überfiel die Synagoge sowie die Geschäfte und Wohnungen der jüdischen Nachbarn. Es wurde geplündert, zerstört und geprügelt. Simon Wechsler, der damals bereits 82-jährige Vater von Siegfried, rief aus dem Fenster vergebens um Hilfe. Er und seine Frau Betty wurden später von Angehörigen stöhnend und verletzt auf dem Boden liegend aufgefunden. Simon Wechsler starb knapp drei Wochen später. Betty Wechsler wurde ins Ghetto Theresienstadt deportiert und starb dort an den Folgen der brutalen Haftbedingungen.
Nicht rekonstruieren konnte Stefan Kunz Zeitpunkt und Umstände der Ermordung von Siegfried Wechsler und dessen Ehefrau Henny. Sie wurden vermutlich im Sommer 1942 von Frankfurt aus in die Vernichtungslager im Osten deportiert und ermordet – wahrscheinlich er in Majdanek und sie in Sobibor.
Der neue, reich bebilderte und 98 Seiten umfassende Band der Bad Vilbeler Heimatblätter wurde in einer Auflage von 600 Exemplaren gedruckt und ist für 10 Euro im Kartenbüro der Stadt, Klaus-Havenstein-Weg 1, zu erwerben.