Es ist noch nicht lange her, da war der christliche Glaube viel politischer und viel parteiischer. Die Älteren werden sich noch erinnern: Es gab eine Zeit, da wurde auf den Kanzeln politisch gepredigt, da liefen Pfarrer in Talaren als Teil der Außerparlamentarischen Opposition! Vor rund 35 Jahren gingen in der Spitze 250 000 Menschen gegen die Startbahn West auf die Straße, und viele von ihnen aus einer dezidiert christlichen Überzeugung heraus. Damals mischten die Christen noch mit bei politischen Aktionen. Auch beim Kampf gegen die Wiederbewaffnung! Den Nato-Doppelbeschluss! Den Krieg in Vietnam!
Dabei trifft die Bibel über konkrete politische Wege überhaupt keine Aussagen. Sie präsentiert vor allem Visionen, Vorstellungen davon, was am Ende das Ziel unserer Menschenwelt sein soll, und damit auch das Ziel aller Politik: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, kein Leid und kein Geschrei!“ (Offenbarung 21,3-4).
Aber auch, wenn das Ziel klar ist, der Weg ist es nicht. Und deshalb ist Glaube auch immer politisch. Christlicher Glaube ist nämlich immer aufgefordert die Welt, in die Gott uns gestellt hat, aktiv und mit Hilfe unserer Werte und Überzeugungen zu gestalten. Und auch parteilich ist christlicher Glaube, weil Gott selbst Partei ergreift: Für die Armen und die Schwachen, für die Kranken und die Sterbenden, für die Trauernden und die Leidenden. Wer als Christ die Stimme erhebt, muss darum immer auch für die eintreten, deren Stimme zu schwach geworden ist, um für sich selbst zu sprechen.
Politisch und parteilich ist christlicher Glaube: Aber nicht parteipolitisch. Weil wir wissen, dass es nicht den einen Weg gibt, um alle guten Ziele zu erreichen. Und weil wir wissen, dass die Fragen zu komplex sind, um sie mit einfachen Sätzen zu beantworten. Die Bibel dagegen fordert uns auf, immer wieder um das richtige Handeln zu ringen. Sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden zu geben. Keine einmal gefundene Antwort ist so endgültig, dass man nicht immer wieder nachfragen müsste, ob wir damit unserer Verantwortung vor Gott und vor unseren eigenen Nachkommen gerecht werden.
Wo Sie am Sonntag Ihr Kreuzchen machen sollten, dass kann Ihnen also keiner sagen. Aber dass Sie es machen sollten, das gehört zu diesem Ringen dazu. So politisch und so parteiisch muss christlicher Glaube auch heute sein! Wer wäre unter uns, der seinen Enkelkindern eines Tages sagen müssen will: Ich habe damals die Hände in den Schoß gelegt und mich nicht an der Gestaltung dieser Welt beteiligt? Gott spricht gerade an einem Wahltag wie dem 24. September, frei nach Jeremia 29,7: „Suchet das Beste des Landes, in dem ich euch habe aufwachsen lassen, und betet für es zum HERRN.“ Bitte, suchen und beten und ringen Sie mit!
Ihr Ingo Schütz, Pfarrer in der Christuskirchengemeinde