Bad Vilbel. „Es ist alles Fassad'“, warnt der Chor das Publikum gleich am Anfang des Musicals „Jekyll & Hyde“. Spannend erzählt wird die Geschichte, wie sich der menschenfreundliche Dr. Jekyll zum diabolischen Mr. Hyde verwandelt und keinen Weg zurück mehr findet. Rund zwei Stunden später war klar, wie prächtig gelungen diese „Fassade“ auf und hinter der Bühne war: Mit begeisterndem Schluss-Applaus – nachdem bereits zuvor nicht mit Szenenbeifall gegeizt wurde – quittierten die Premieren-Besucher die gebotene Leistung.
Mit einem gesanglich auf hohem Niveau agierenden Ensemble, einem ebenso hervorragend spielenden Orchester knüpften Regisseur Egon Baumgarten und Thomas Lorey als musikalischer Leiter an die schönen Musical-Erfolge der Vorjahre (Jesus Christ Superstar, Comedian Harmonists, Evita) an.
Die Stars des Abends sind Alexander di Capri, Anne Hoth und Eva Aasgaard. Di Capri gelingt glaubwürdig – gesanglich wie auch darstellerisch – der Spagat vom vernunftbegabten Jekyll zum tobenden und mordenden Berserker Hyde. Der vernünftige und gutmeinende Wissenschaftler unterzieht sich einem medizinischen Selbstversuch. Er experimentiert mit einem selbst gemischten Drogen-Cocktail, um das Gute und das Böse zu trennen, „die feindseligen Zwillinge“, die in jedem Menschen „wohnen“, in gesonderte Persönlichkeiten zu verpflanzen und damit zu kontrollieren. Das Leben wäre dann von jeder Unerträglichkeit, von Krieg und Gier befreit, meint er. Bald erweist sich die eingenommene Rezeptur als Horror-Elixier und Jekyll geht in einem Bermuda-Dreieck von hilfloser Liebe, seiner Welterlösungsfantasie und dem „Bösen an und für sich“ unter.
Anne Hoth ist als Lucy ein bisschen Vamp, aber vor allem ausgebeutete Hure sowie Jekyll gegenüber eine hoffnungsvoll Liebende. Statt Männer verschlingender Hure wird sie als verletzlicher Mensch erkennbar. Als Jekylls Verlobte überzeugt Eva Aasgaard, indem sie eben nicht als blind vertrauendes Dummchen agiert, sondern als selbstbewusst Liebende, die verzweifelt versucht, den in Abgründe abdriftenden Geliebten noch zu erreichen.
Matthias Pagani ist Jekylls zu sehr Rücksicht nehmender Freund Utterson und Sissy Staudinger einerseits eine selbstsüchtige Charity-Lady und in einer zweiten Rolle mitfühlende Bordell-Chefin. Hier bleiben besonders die von ihr und dem Dance-Ensemble gesungene Mähr „Mädchen der Nacht“ melancholisch im Ohr, nachdem im Kontrast dazu im ersten Teil des Stücks unter Stimmführung von Lucy die Hurenhymne „Komm schaff die Männer ran“ zu hören war.
Beeindruckend auch wieder wie sich die „ehrenamtlichen“ Sänger und Tänzer des VilbelCanto-Chores (Choreographie Angela Hercules-Joseph, Choreinstudierung Benedikt Bach) von den Profis zum lustvollen Einsatz anstecken ließen. Kostüme und Bühnenbild (Thomas Pekny) passten sich ebenso – zwar durchaus effektvoll, aber nicht effektheischend – in die Erzählhandlung ein. Ganz der erklärten Absicht von Regisseur Baumgarten gemäß, nachdem die Geschichte im Mittelpunkt steht und deren Wirkung nicht durch eine knallige und pompöse Performance verpuffen darf. Das erstmals in Metall statt in Holz gehaltene Bühnenbild vermittelte die düstere Stimmung des Schauplatzes – London im ausgehenden 19. Jahrhundert – und der Handlung.
„Jekyll & Hyde“: Die nächsten Vorstellungen in der Burg finden am 20., 21. und 22. Juni jeweils um 20.15 Uhr statt sowie mehrfach in den Folgemonaten bis zum 6. September. Kartenreservierung und Spielplan unter www.kultur-bad-vilbel.de. Weitere Fotos finden Sie unter www.zlp-online.de.