Nach Jahren der Planung soll 2017 die Nidda im Stadtgebiet renaturiert werden. Damit die Natur sich wieder entwickeln kann, kommt zunächst die Kettensäge zum Einsatz: Diesen Winter gibt es massiven Kahlschlag.
Karben. „Das wird Proteste geben.“ Bürgermeister Guido Rahn (CDU) ahnt, was in ein paar Tagen los sein wird. Die Telefonleitungen ins Rathaus könnten glühen.
Der Rathauschef rechnet mit Beschwerden, wenn die Bauarbeiten zur Renaturierung der Nidda beginnen. Zwischen 6. Januar und Ende Februar ist der erste Abschnitt der Arbeiten geplant: die so genannte Baufeldfreimachung.
Was nichts weniger bedeutet, als dass der künftige Flussbereich der Nidda vorbereitet wird darauf, dass das Gewässer zum Teil einen neuen Verlauf und neue Ufer bekommen wird. Mit dem schnurgeraden Kanal soll es dank der Renaturierung vorbei sein.
Bevor die Pflanzen und Tiere wieder einen natürlicheren Lebensraum besiedeln können, muss Platz geschaffen werden. Und zwar per Kettensäge: „Bäume und Büsche kommen weg“, sagt Guido Rahn. Er lässt sich nur mühsam eine Zahl entlocken: „Mehr als 100 Bäume“, plus unzählige Büsche.
Bäume umsetzen
Wie viele Pflanzen genau dran glauben müssen, lasse sich nicht im Detail beziffern, sagt Rahn. Auch seien die Bäume von „unterschiedlicher Größe“, also nicht nur groß gewachsene betroffen. Die 20 wertvollsten und größten Bäume, bis zu 20 Meter hoch, will die Stadt erhalten. „Sie werden ausgegraben, den Sommer über zwischengelagert und dann umgesetzt“, kündigt der Bürgermeister an. Das kostet um die 1000 Euro pro Baum.
Stolze Kosten – ebenso wie die Gesamtsumme: 2,5 Millionen Euro teuer wird die Sanierung der innerstädtischen Nidda in Karben. Zwischen dem ASB-Altenzentrum und dem Groß-Karbener Hessenring im Norden bis hinunter zum Günther-Reutzel-Sportfeld des KSV und der Dortelweiler Straße in Klein-Karben erhält der Fluss seine Natürlichkeit zurück. Auf 1,5 Kilometern Strecke werden Hochwasserdämme zurückversetzt, Ufer abgeflacht, mehrere Buchten, ein neuer Flussarm sowie zwei Inseln angelegt.
„Wir sind laut europäischer Wasserrahmenrichtlinie zur ökologischen Aufwertung verpflichtet“, erklärt Ekkehart Böing, Fachmann aus dem Rathaus. Zusätzlich erfülle die Stadt mit der Renaturierung ein Versprechen an die Bevölkerung: „Der Fluss soll erlebbar werden.“ Die Nidda werde im Innenstadtbereich als Naherholungsgebiet nutzbar gemacht.
Versprochen hatte die Stadt dies, als die Bad Vilbeler Gerty-Strohm-Stiftung den Fluss vor zwei Jahren südlich von Klein-Karben renaturierte. Hier bekam die Natur nahezu uneingeschränkt Vorrang eingeräumt: Nur an zwei Stellen können Passanten von Aussichtspunkten aus sich die neu entstandene Landschaft anschauen. Ansonsten sollen sich Fische, Vögel, andere Tiere und Pflanzen ungestört entwickeln.
Im Stadtbereich dagegen soll es ein Miteinander geben. Hier sind „Erlebnispunkte“ vorgesehen, zum Beispiel Buchten, an denen Menschen (und ihre Hunde) an den Fluss gelangen, hölzerne Decks zum Sitzen, Aussichtspunkte. Terrassen zum Verweilen sollen hinter dem Bürgerzentrum entstehen sowie dort, wo die alten Tennisplätze des KSV seit Jahren zuwachsen.
Zuvor aber wird sich der Anblick des Flusses radikal wandeln, wenn im Januar die Arbeiter anrücken. „Eine Renaturierung geht nicht ohne Baumfällungen,“ betont Bürgermeister Rahn, „sonst stehen die Bäume am Ende genau im Fluss.“ Nicht nur mit den Naturschutzbehörden sei das Vorgehen im Detail abgestimmt. Ebenso stimmten die Verbände BUND und Naturschutzbund dem Projekt zu, erinnert der Bürgermeister. „Sie wollen die Renaturierung ausdrücklich.“
Kurzfristig schlimm
Der Bürgermeister rechnet mit Protest aus dem Wohngebiet Hessenring. Dort nutzten Anwohner teils seit Jahrzehnten Teile der öffentlichen Grünflächen für Gartenerweiterungen – und hätten zum Beispiel Grills aufgestellt. „Sie erhalten Aufforderungen, alles zu entfernen“, sagt Rahn. Der Blick ins dichte Grün wird den Anwohnern genommen: Direkt hinter ihren Gärten entsteht der zurückversetzte Niddadamm.
Wann genau die übrigen Arbeiten laufen, soll ein Fachbüro bis Ende Februar festlegen. Den Auftrag für die Steuerung der Arbeiten hat die Stadt an das Fachbüro von Rolf-Jürgen Gebler aus der Nähe von Karlsruhe vergeben. „Das Büro hat schon große Renaturierungsmaßnahmen durchgeführt“, sagt Guido Rahn. Umgesetzt werden aber weiterhin die Planung aus der Feder des Bad Vilbeler Gewässerökologen Gottfried Lehr.
Für ein großes Fachbüro als Projektumsetzer habe sich die Stadt wegen des „hochkomplexen Baufeldes“ am Fluss bewusst entschieden. Unter anderem müssen Leitungen und Rohre von Telekom und Unitymedia, Stromversorger, Hassia und Entwässerung umgelegt werden. „Wenn wir nicht achtgeben, kann schnell ganz Karben ohne Strom sein, wenn ein Bagger an der falschen Stelle gräbt“, warnt der Bürgermeister.
Trotz aller Widrigkeiten soll die innerstädtische Nidda bis Ende nächsten Jahres fertig renaturiert sein. „Kurzfristig wird das schlimm aussehen“, sagt Rahn. „Aber langfristig viel schöner.“ (den)