Karben. Seit Urzeiten haben Astronomen das Geheimnis des Weltalls zu ergründen versucht. Im Streben nach Welterkenntnis wurden immer größere astronomische Projekte gestartet. Hinter jeder bahnbrechenden technischen Entwicklung stecken überragend kluge Köpfe und innovative Ingenieure. Einer davon ist Hans Jürgen Kärcher. Der Ingenieur aus Klein-Karben ist maßgeblich an Projekten beteiligt, die in der Astronomie weltweit neue Maßstäbe setzen.
„Das heutige gängige wissenschaftliche Weltbild sagt, dass die Welt vor etwa 15 Milliarden Jahren aus einem Urknall entstanden ist“, erklärt Kärcher und sitzt im Büroraum seines Hauses in Klein–Karben. Aus gestaltlosen Schwingungen, auch „Ursuppe“ genannt, habe sich die Materie zu Sternen und Galaxien zusammengeballt. Dies gelte ebenso für die derzeitige Ausdehnung der Welt. Die dabei ausgesandten Photonen bewegen sich Jahrmillionen und Jahrmilliarden durch den leeren Raum, bis sie irgendwann die Erde erreichen und von Astronomen mit Teleskopen „eingefangen“ werden. Die unvorstellbar lange Reise ist der Grund, warum die Wissenschaftler mit ihren Instrumenten nicht die jetzige Welt einfangen, sondern deren Zustand zu Beginn ihrer Reise. „Vielleicht können sie mit Geschick und guten Instrumenten sogar bis zu den Anfängen von Raum und Zeit schauen“, vermutet Kärcher. „Sie schauen in die Werkstatt des Schöpfers.“
Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur besseren Beobachtung des Alls ist das Große Millimeter-Teleskop (LMT). Es steht in Mexiko auf dem 4580 Meter hohen Gipfel der Sierra Negra. Aufgabe des Teleskopes ist es, die Millimeterwellen der elektronischen Strahlung zu beobachten und über diese Radiowellen zum Anfang des Universums zurückzublicken.
Im Auftrag der Mexikaner und der Universität von Massachusetts hat Hans Kärcher mit seinem Team von MAN aus Gustavsburg bei Mainz innerhalb von zwei Jahren dieses Teleskop entworfen. Eine Anforderung, die „eine unglaubliche Kreativität freisetzte“. Das Teleskop wiegt etwa 2500 Tonnen und steht auf einem 540 Kubikmeter großen Sockel aus Beton. Mit 50 Metern Durchmesser und einer Fläche von 2000 Quadratmetern ist die Parabolantenne die größte weltweit. Sie besteht aus 187 großen Reflektoren. Der Standort auf dem Gipfel der Sierra Negra im Staat Puebla liegt 250 Kilometer östlich von Mexiko-Stadt. Mit dem Teleskopbau wertete Mexiko nicht nur sein nationales Prestige auf, sondern folgte auch einer alten Tradition. Immerhin waren schon vor vielen Tausenden von Jahren die Mayas, Azteken und andere Völker der Region präzise beobachtende Sternengucker.
Hans Kärcher wurde 1941 in Frankfurt-Fechenheim geboren. 1964 kam er mit seinen Eltern nach Karben. Er studierte Mathematik, Maschinen- und Brückenbau an der Technischen Universität Darmstadt. 1974 bis 2006 arbeitete er als Projekt-Manager und Teleskop-Ingenieur bei MAN in Mainz, dem späteren MT Aerospace. Nachdem das damalige Brückenbau-Werk 1986 seine Werkstätten geschlossen hatte, arbeitete die Teleskopgruppe weiter und ist heute weltweit bekannt und tätig.
Das größte voll bewegliche Teleskop in der Eifel, die Konstruktion des SRT-Teleskops auf Sardinien und andere spektakuläre Konstruktionsentwürfe stammen aus den Reihen des Teams, dem sich Kärcher in seinem jetzigen Ruhestand als freier Mitarbeiter und Ideenträger weiterhin anschließt. „Die Spezialität des Teams ist die Mechatronik, das heißt die integrierte Betrachtungsweise von Mechanik und Regelungstechnik“, erklärt er.
Seit etwa 15 Jahren ist Hans Kärcher auch an der Entwicklung eines fliegenden Observatoriums zur Himmelsbeobachtung im Infraroten beteiligt. Die Abkürzung Sofia steht im Englischen für Stratospheric Observatory for Infrared Astronomy, also auf Deutsch das Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie. Im Auftrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der US-Weltraumbehörde NASA mit ihrem Forschungszentrum in Ames in Iowa im Mittelwesten der USA hat er von Anfang an unzählige Entwürfe gezeichnet.