Nicht nur mit einer Gedenkfeier wird in Bad Vilbel an die Opfer der Novemberpogrome von 1938 erinnert, sondern mit einer Veranstaltungsreihe, bei der die Christuskirchengemeinde stark engagiert ist.
Bad Vilbel. Vor 75 Jahren bildete auch das damalige Vilbel keine Ausnahme, als am 9. und 10. November 1938 in Deutschland Synagogen gestürmt und verwüstet wurden, Nachbarn und Schlägertrupps gewaltsam in Wohnungen und Geschäfte von jüdischen Familien eindrangen, dort Menschen misshandelten, sie beraubten und ihre Habe zerstörten. Darauf wiesen Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) und Kulturamtsleiter Claus-Günther Kunzmann hin, als sie zusammen mit Rafael Zur und Vered Zur-Panzer von der jüdischen Gemeinde und Pfarrer Klaus Neumeier von der Christuskirche das Programm für eine Veranstaltungsreihe vorstellten.
Seit Jahren gedenken die Stadt Bad Vilbel und die jüdische Gemeinde gemeinsam der Opfer jener Novemberpogrome, zur damaligen Zeit und auch lange Jahrzehnte danach verharmlosend als „Reichskristallnacht“ bezeichnet, mit einer öffentlichen Feierstunde, diesmal jedoch nicht am Gedenkstein vor dem Alten Rathaus, sondern im Hof der ehemaligen Stadtschule, also direkt in der Innenstadt. Dort wirkte lange Jahre als Lehrer und Schulleiter der im Holocaust ermordete Albert Chambré, an den dort auch eine Hinweistafel erinnert. Am Sonntag, 10. November, um 12 Uhr werden nach den Ansprachen auch wieder die „Shalom Singers“ zu hören sein. Es handelt sich dabei um einen Männer- und Frauenchor, wie Vered Zur-Panzer betont, die selbst mitsingt.
Mit einem Klarinettensolo ist zudem Zoltán Kovács beteiligt, bevor Hartmuth Schröder Auszüge aus der Anklageschrift vorliest, die nach dem Krieg bei einem Gerichtsverfahren gegen einige der Täter der Vilbeler Pogromnacht vorgetragen wurde.
Mit der Pogromnacht von 1938 erlebte die staatlich gewollte, geförderte und organisierte Verfolgung und Ausgrenzung der Juden eine verheerende Qualität. Die Obrigkeit und ihre Helfershelfer merkten, dass es keinen Widerstand gegen diese offenen Gewalttaten gab und das Ziel der Vernichtung der Juden offensiver vorangetrieben werden konnte.
Dass auch in Bad Vilbel die Ausgrenzung und Diskriminierung jüdischer Bürger bereits vor 1938 begonnen hatte, lässt sich aus Akten belegen, wie Claus-Günther Kunzmann hervorhob, zu dessen Zuständigkeit auch das Stadtarchiv zählt. Er verwies auf die ab 1946 erfolgten Aufzeichnungen von Johann Kroner, in der Namen genannt wurden, wer in der Zeit ab 1933 sich in vorderster Reihe an antijüdischen Ausschreitungen beteiligte. In einem anderen Beleg aus dem Archiv wird berichtet, dass 1937 die Jugendliche Doris Löb, obwohl sie ihre Eintrittskarte bezahlt hatte, aus dem Schwimmbad verwiesen wurde, weil sie als Jüdin „unrein“ sei. Die Pogrome vor 75 Jahren bildeten also auch in Bad Vilbel weder einen Anfangspunkt noch ein Ende der Verfolgung jüdischer Menschen, resümierte Kunzmann.
„Braun ist keineFarbe, wir sind bunt!“
Die zentrale Erinnerungsveranstaltung am 10. November ist eingebettet in eine Veranstaltungsreihe, bei der die evangelische Christuskirchengemeinde stark engagiert ist. Zusammen mit der evangelischen Gemeinde Dortelweil findet bereits am Freitag, 8. November, um 19 Uhr im Dortelweiler Gemeindehaus Arche ein Gottesdienst für Jugendliche ab 13 Jahren statt: „Braun ist keine Farbe, wir sind bunt!“, lautet das Motto, mit dem das Thema „Toleranz üben“ aufgegriffen wird, das derzeit bei einer umfassenden Kampagne von der Hessischen Landeskirche auf die Agenda gesetzt wurde, wie Pfarrer Neumeier erläuterte. So geht es bei Gottesdiensten am Samstag, 9. November, 16.30 Uhr in der Auferstehungskirche und am Sonntag, 10. November, 10.30 Uhr in der Christuskirche um „Vergebung angesichts historischer Schuld“. Für 17 Uhr am Sonntagabend wird dann auch zur „Kirche anders“ eingeladen, wobei hierfür die Überschrift gewählt wurde: „Ich bin tollerant – Maßnahmen gegen Andersdenkende“.
Eingereiht in diese Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen ist auch am Samstag, 16. November, um 16 Uhr vor dem Volkstrauertag die Einladung zur Kranzniederlegung am Ehrenmal auf dem Friedhof Lohstraße mit anschließendem ökumenischen Gottesdienst in der Auferstehungskirche. Beim Volkstrauertag werde nicht mehr wie früher an die Soldaten und die in Kriegen getöteten Zivilpersonen gedacht, sondern allgemein der Opfer von Kriegen und Verfolgung, so Pfarrer Neumeier.
Zeitnah zum Jahrestag der Pogrome von 1938 findet am Sonntag, 17. November, in der Alten Mühle ein Klezmer-Konzert statt. Ab 11 Uhr ist das „Jerusalem-Duo“ mit der Flötistin und Akkordeonistin Almut Schwab zu erleben. Am Abend wird für 18 Uhr in die Christuskirche eingeladen zu der Theaterlesung: „Adressat unbekannt“, die auf Briefen und einem Telegramm aus den Jahren 1932 und 1933 basiert.
Zum Abschluss der Gedenkreihe findet am Montag, 25. November, 20 Uhr im Saal der Christuskirche mit „Pogrom 1938 – miteinander leben 2013“ ein „Gespräch über Vorurteile und Toleranz“ statt. Auf dem Podium diskutieren neben Rafael Zur, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, noch Pfarrer Dr. Klaus Neumeier, Bürgermeister Dr. Thomas Stöhr, Selcuk Dogruer von der Islamischen Gemeinde und Claudia Kamm, Rektorindes Georg-Büchner-Gymnasiums.