Das Historien-Drama „Die Päpstin“ ist ab 4. Juni bei den Burgfestspielen in Bad Vilbel zu sehen. Doch gab es sie wirklich? Ein Historiker klärt auf.
Bad Vilbel. Eine Frau auf dem Stuhl Petri? Diese Vorstellung ist nicht nur für die katholische Kirche, viele Theologen, Historiker und konservative Katholiken schwer vorstellbar. Doch hält sich seit dem 13. Jahrhundert hartnäckig die Legende von der Päpstin Johanna. Antworten gab der freie Historiker, Publizist und Dozent in der Erwachsenenbildung Michael Münchow in seinem Vortrag „Die Päpstin – Mythos oder Wirklichkeit?“ Auf Einladung des Bad Vilbeler Vereins für Geschichte und Heimatpflege, nahm er dessen Vorsitzenden Claus-Günther Kunzmann und rund 70 Zuhörer in der Stadtbibliothek mit auf eine spannende und faszinierende Spurensuche ins Mittelalter. Mit seinem Vortrag eröffnete der aus Bernburg kommende Wissenschaftler, das aus Vorträgen, Ausstellungen und Exkursionen bestehende Begleitprogramm zur Burgfestspielinszenierung „Die Päpstin“ von Regisseurin Adelheid Müther.
Münchow spürte Fragen nach, ob es Belege dafür gibt, dass Johanna von Ingelheim tatsächlich als Päpstin auf dem Stuhl Petri saß. Wäre dies so, dann war sie die erste und bisher einzige Päpstin unter den rund 300 Päpsten – ohne Gegenpäpste – bis heute. Ins Thema führte er seine Zuhörer mit dem Roman „Die Päpstin“ von Donna W. Cross ein.
Auf dem Titel der Originalausgabe sei nicht Päpstin Johanna abgebildet, sondern Papst Pius II., der von 1458 bis 1464 Papst war. Die Szene zeige, wie er 1461 Katharina von Siena heiligspricht.
Der 1996 veröffentlichte Roman „Pope Joan“ („Die Päpstin“) von Donna W. Cross ist ein internationaler Bestseller. Cross sei nur eine von vielen Autoren, die sich mit der Geschichte der mutigen, wissbegierigen Johanna beschäftigt hat. TV- und Kinofilme folgten 2009, das Musical 2011.
Die katholische Kirche verneint die Existenz einer Päpstin. In Johannas Geburtsjahr 814 starb Karl der Große, der seinem Sohn Ludwig dem Frommen ein Riesenreich hinterließ, das dieser von 814 bis 840 regierte. Dessen drei Söhne teilten das Reich 840 unter sich auf. Karl der Kahle regierte Westfrankreich, Ludwig der Deutsche Ostfrankreich und Lothar das Mittelreich, zu dem auch die Stadt Rom gehörte. Deren Bürger besaßen bis 844 das Privileg, den Papst selbst wählen zu können.
Allerdings versuchten Herrscher von Karl dem Großen an bis zu Friedrich Barbarossa immer wieder massiven Einfluss auf die Papstwahl zu nehmen. Gegenpäpste und Morde gehörten zum Kampf um die Macht.
Kloster überfallen
Johanna nimmt nach dem Überfall der Normannen auf das Kloster Fulda die Identität ihres getöteten Bruders Johannes Anglicus an. Sie flieht nach Athen, wo sie von den berühmtesten Ärzten ihrer Zeit ausgebildet wurde und auch praktizierte. In Rom wird sie Medicus des Papstes und soll von 853 bis 855 als Päpstin zwischen Papst Leo IV. und Benedikt III. regiert haben.
Als Frau entlarvt wurde sie bei der Geburt ihres Kindes während einer Prozession. Beide starben wie kurz zuvor der Vater des Kindes, Ritter Gerold. Er war Stadtkommandeur von Rom. Eine andere Version besagt, dass Johanna nach der Geburt in ein Kloster verbannt wurde. Die Entstehung der Legende um die Päpstin Johanna datiert der Historiker auf das 13. Jahrhundert. Veröffentlicht hat sie der Dominikanermönch Martin von Troppau, in seiner 1277 erschienen Chronik über Päpste und Kaiser. Durch Humanisten wie Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio fand Päpstin Johanna Eingang in die Literatur.
„Die Päpste des Mittelalters glaubten an Johannas Existenz. Erst im 16. Jahrhundert wurden ihre Bilder in Kirchen entfernt. Eine Statue, die der Vatikan im Jahre 1550 in Rom entfernen ließ, zeigte eine Frau mit einem Neugeborenen im Arm. Im Volksmund wurde die Figur „Päpstin Johanna“ genannt.“ Papstkritiker wie Martin Luther, Jan Hus, Johannes Calvin, Ulrich Zwingli oder Heinrich VIII. griffen die Legende einer Frau auf dem Papststuhl auf, um die Autorität des Papstes zu untergraben.
Historiker Michael Hesemann führte die Legende der Johanna auf die enge Gasse, die vom Lateran zum Vatikan führte, „Vicus Papessa“ zurück und auf den als „sella stercorata“ oder „sedes stercorata“ (deutsch Kotstuhl oder Kotsitz) bezeichneten Stuhl mit einem Loch in der Sitzfläche für frischgewählte Päpste. Mit ihm wäre das Vorhandensein von Hoden überprüft worden.
Michael Münchow sieht in der chronologisch gut dokumentierten Abfolge der Päpste seit dem 9. Jahrhundert keinen Platz für ein Pontifikat Johannas. Vielmehr sah der Kirchenhistoriker und Kardinal Cesare Baronio in der Legende eine Satire auf den als weichlich, weibisch und entscheidungsschwach verschrienen Papst Johannes VIII. (872-882). Auch sei „Päpstin Johanna“ der Spottname der Geliebten von Papst Sergiu III. und Papst Johannes X. gewesen. Diese, Marozia, war zugleich die Mutter von Papst Johannes XI. (931-935).
Quellen über Päpstin Johanna vor Chronist Martin von Troppau sind nicht bekannt. „Die Johanna-Geschichte ist eine im Mittelalter sehr beliebte, aber erfundene Legende so wie die von König Artus“, sagte der Historiker. „Wir spielen das Stück trotzdem“, verkündeten Intendant Kunzmann.
„Die Päpstin“ ist ab Donnerstag, 4. Juni, bei den Burgfestspielen zu sehen. Kartenreservierungen unter Telefon (06101) 55 94 55.