„Ich sehe was, was du nicht siehst…… … und das ist – rot“. Das Spiel kennen Sie bestimmt. Damit kann man Kinder auf langweiligen Autofahrten beschäftigen (zumindest eine Zeit lang), ganz ohne Vorbereitung miteinander Spaß haben und seine Sinne schärfen. Es ist erstaunlich, was man auch in sehr vertrauten Räumen noch alles entdecken kann.
Manchmal bin ich aber auch wirklich überrascht, wie völlig anders Menschen die Welt sehen. Dasselbe Glas Wasser ist für den einen halbvoll und für den anderen halbleer. Es ist oft eine Frage der Sichtweise.
Vor knapp 2000 Jahren hat ein Mensch seine Sicht der Welt aufgeschrieben. Sie ist uns als „Offenbarung des Johannes“, dem letzten Buch der Bibel erhalten geblieben.
Die Christen und Christinnen wurden damals wegen ihres Glaubens verfolgt und hatten viele Gründe, die Welt pessimistisch zu sehen. Das wird in diesem Buch nicht geschönt. Aber im letzten Kapitel sieht der „Seher Johannes“ dahinter und das ist viel mehr. „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde.“ So beginnt Kapitel 21 und dann schildert er seine große Hoffnung, wie die Welt sein sollte und wie sie irgendwann einmal sein wird – ganz bestimmt. Das ist doch mal eine tolle Sichtweise!
Wenn ich mit einer solchen Sichtweise durch die Welt gehe, sehe ich vielleicht neben dem nervenden Stau die Streuobstwiesen mit den knorrigen Apfelbäumen am Wegrand. Dann erahne ich vielleicht hinter dem Menschen, der mich gerade unverhältnismäßig scharf angreift, seine Trauer oder Hilflosigkeit. Dann erfasse ich vielleicht neben meinem Zorn über machtbesessene Präsidenten die Stärke einer Demokratie. Dann erkenne ich vielleicht gerade in schweren Zeiten meine innere Kraft. Dann erkenne ich vielleicht neben so vielem schrecklichen in unserer Welt auch ihre unglaubliche Schönheit und manch innere Größe von Menschen. Dann kann ich vielleicht gegen das Gefühl „dass alles immer schlimmer wird“ unsere große Hoffnung setzen, dass Gott am Ende alles gut macht.
„Ich sehe was, was du nicht siehst“. Ich möchte mich gerne von dieser Sichtweise anstecken lassen. Sie vielleicht auch?
Pfarrerin Ulrike Mey,
Ev. Christuskirchengemeinde
Bad Vilbel