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Evita und die Macht

Musical-Premiere bei den Bad Vilbeler Burgfestspielen über den Aufstieg und Fall einer Ikone

Verehrt oder verteufelt? Evita Peron, bei den Burgfestspielen verkörpert von Maria Mucha, auf dem Höhepunkt der Macht. Fotos: Eugen Sommer
Verehrt oder verteufelt? Evita Peron, bei den Burgfestspielen verkörpert von Maria Mucha, auf dem Höhepunkt der Macht. Fotos: Eugen Sommer

Mit „Evita“ haben die Veranstalter der Bad Vilbeler Burgfestspiele zur 30. Spielzeit ein personell aufwendiges Musical auf die Bühne gestellt. Die bemerkenswerte Aufführung zeigt die erstaunliche Geschichte der schillernden Eva Perón, die über Jahre die einflussreichste Person Argentiniens war – und die heimliche „Präsidentin“. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert.

 

Bad Vilbel. Wer war die historische „Evita“? Mit 16 Jahren war sie ein Nichts in Argentiniens tiefster Provinz, mit 26 Jahren aufgestiegen zur Präsidentengattin, geliebt von den Massen und gehasst von der Elite – und im Alter von 33 Jahren war sie tot. Dazwischen wollte sie nach oben, mit allen Mitteln. Und dann um jeden Preis oben bleiben. Sie wurde verehrt als große Wohltäterin, ja Heilige, und pflegte einen extravaganten und verschwenderischen Personenkult.

Eva Duarte (Evita) wird als 15-Jährige von Tangosänger Magaldi aus der Provinz mit in die Hauptstadt Buenos Aires genommen. Es folgen weitere Liebhaber, mit deren Hilfe sie rasch die Karriereleiter erklimmt. Letztlich wird sie die Geliebte des machtbesessenen Offiziers Juan Perón. Seine Pläne zum Umsturz Argentiniens unterstützt sie aktiv und Perón wird zum Präsidenten von Argentinien gewählt und heiratet Evita. Im Musical scheint nur der junge Revolutionär Ché die skrupellosen Machenschaften des Diktatorenpaares zu durchschauen. Die Inszenierung legt sich fest: Evita (Maria Mucha) ist die selbstbewusste, machtbesessene Frau, die „alle Register“ zieht, mit Gefühlen und Menschen spielt, dabei Sympathien und Bewunderung erheischt und so dem Zuschauer immer wieder Identifikationsflächen bietet. Doch das Innere dieser Frau bleibt verschlossen. Selbst in ihren „persönlichen Bekenntnissen“ treibt sie Politik und will andere beeinflussen. Mucha gelingt es, auf der Bühne den Facetten dieser historischen Figur hautnah ein Gesicht zu geben. Stimmgewaltig, mimisch, gestisch und tanzend überzeugt sie sowohl als quirlige, neugierige und erwartungsvolle Teenagerin bis hin zur emotionsgeladenen, stolzen selbstherrlichen Frau. „Ihren“ Descamisados (Hemdlose aus der Arbeiterklasse) begegnet sie verständnisvoll.

Unheimlich wirken die Geheimpolizisten (Hans-Peter Englert, Thilo Kratz, Tilman Kratz, Theodor Kratz) am Rand der Veranstaltung, die fortwährend und ungerührt ins Publikum starren. Und darüber hinaus auch wortlos in die Handlung eingreifen.

Brillant und gekonnt provokativ kommentiert, konterkariert und ergänzt Che (Randy Diamond) Evitas Rolle. In der Inszenierung fungiert er als Chronist, manchmal zynisch, manchmal zärtlich, dann wieder rebellisch. Er ist der Narr und der Weise, der immer das Ende schon kennt. Im Kostüm eines Dompteurs peitscht er auf, treibt die Geschichte voran, sucht Evita zu stellen. Doch sie kann nur durch den Tod gestoppt werden. Am dramatischen Ende schiebt er die Verstorbene im Rollstuhl fast zärtlich und liebevoll von der (Welt-)Bühne.

Solotänze mit Che

Szenisch besonders spannend sind die Solotänze zwischen Evita und Che, speziell als er die nur noch Getriebene und bereits schwer Erschöpfte dramatisch mit der Peitsche attackiert und wortgewaltig mit der Realität konfrontiert. Dann – eine innige Umarmung aus der er sie plötzlich zu Boden fallen lässt – ja fast wegwirft. Berührend der Gesang von Janne Marie Peters, die ins Kleid der jungen idealistischen Eva schlüpft und als „Alter Ego“ die traurige Bilanz mit allen Schattenseiten des ehrgeizigen Lebens mit all dem Schmerz und der Entbehrlichkeit zieht. Hier zeigt sich die Gespaltenheit von Evita am deutlichsten. Denn am Ende ist Evita nur noch eine in sich Gefangene.

Es ist ein karges, morbides Bühnenbild mit einer einsamen Madonna am Pfosten stehend. An den Wänden sind zunächst mit Tüchern verhangene Bilder auszumachen, die von Che während der weiteren Etappen von Evitas Leben auf der Bühne gestenreich enthüllt werden. Vor dem recht sparsamen Bühnenbild wirken die Gesangs- und Tanzaufführungen sehr präsent. Unter der Regie von Benedikt Borrmann und der Choreografin Lillian Stillwell ist ein beeindruckendes Aufgebot der Hauptakteure sowie des Ensembles zusammen mit dem Chor Vil-belCanto zu erleben. Mit wuchtigen, energiegeladenen wiederholten Auftritten des gesamten Ensembles wird eine emotional aufgepeitschte Atmosphäre geschaffen, die Evita trägt, die sie nutzt und mit der sie spielt. Juan Perón (Jonathan Agar) wirkt gesetzt, zurückhaltend, eher im Hintergrund. Sie ist die Bestimmende. Insgesamt eine sehr sehenswerte wie packende Aufführung im Sommertheater der Burg.

1978 wurde die Rockoper uraufgeführt. Durch die Erfolgsschreiber Andrew Lloyd Webber und Tim Rice (bekannt zum Beispiel durch Jesus Christ Superstar, König der Löwen) wurde Evita zu einer Ikone der Popkultur.